Tiefgreifende Erfahrung oder Langeweile Simulator #Kolumne
Spiele müssen Spaß machen! Grafik ist egal, es kommt auf das Gameplay an! Das und ähnliches wird, vor allem von Spielerseite wieder und wieder herauf und herunter gebetet. Davon halte ich nicht viel. Wenn Spiele sich entwickeln wollen, müssen sie lernen auch andere Erfahrungen zu bieten. (Spoiler zu Gone Home, Gone to the Rapture, Dear Esther, Until Dawn, Fahrenheit enthalten) Übrigens möchte ich noch einmal auf die Natur der Kolumne hinweisen: Hier schreibe ich meine Subjektive und private Meinung.
Sieht man sich ein Buch wie »House of Leaves« an, dann erkennt man, dass das Medium Buch mehr drauf hat als billige Groschenromane und seichte Krimis. Das Buch ist ein Layout-Meisterstück und in Hinblick auf die Gestaltung der Geschichte fast einzigartig. Da wird eine fiktionale Geschichte so glaubwürdig mit Querverweisen verpackt, dass der Leser teils wirklich geneigt ist, das gedruckte glauben zu wollen. Manchmal geht dabei der Spaß flöten, wenn endlose, komplizierte Wortschlangen sich über zig Seiten ziehen oder der Text plötzlich spiegelverkehrt ist. Trotzdem ist das Buch auf morbide Weise faszinierend. Man will die Geheimnisse ergründen und fühlt sich tatsächlich wie auf der Spur eines realen Geheimnisses.
Der Film 2001–Odyssey im Weltraum stellt ebenfalls ein solches Extrem dar. Lange Einstellungen, klassische Musik, abstrakte Sequenzen und eine enigmatische Handlung. Das Seherlebnis vermittelt eine ungeheure Kopfigkeit Langeweile. Und trotzdem zählt der Film zu den faszinierendsten Erzeugnissen des Mediums. Da er vor allem als Selbstausdruck seines Schöpfers, Stanley Kubrick, steht. Die Machart wirkt natürlich. Sie wurde oft kopiert und wirkt gezwungen intelligent und aristokratisch. Kubrick ist einfach Kubrick und das immer und nicht weil es gerade gut ankommt.
Ich weiß, langer Einstieg. Aber nun zum Medium Spiel. Von allen ist es das jüngste und musste sich in seiner relativ kurzen Existenz allen Herausforderungen stellen, denen neue Medien gegenüber stehen:
- Spiele machen dumm/gewalttätig
- Spiele sind gewaltverherrlichend
- Spiele sollten verboten werden
An der öffentlichen Verbrennung sind die Spiele dabei glücklicherweise vorbeigekommen. Trotzdem eröffnet sich für sie nun ein neues Problem. Wie jedes Medium hat auch das Spiel kreative treibende Kräfte, die mehr machen wollen. Also mehr als ganz spaßige Spiele mit toller Grafik und einer 0-8-15 Geschichte über Soldaten oder Assasinen(nicht, dass ich etwas gegen solche Geschichten hätte, auch Tom Clancy kann man gut lesen). Trotzdem gibt es mehr und davon inzwischen reichlich. Die Reaktionen sind dabei ganz unterschiedlich. Am wahrscheinlichsten ist der Beißreflex. Diese grundlose Ablehnung, aus Angst, es könnte sich etwas ganz grundlegend ändern. Als würden die Super-Marios, Zeldas und co. einfach so verschwinden und schwer verdaubarer, gehaltloser Kunst weichen. Die Angst ist irgendwo natürlich verständlich. Hinter jedem Projekt könnte der kommerzielle Erfolg stecken, die Industrie nachhaltig zu beeinflussen. Dann würden Elemente aus diesen Spielen und diese Art von Spiel generell deutlich öfter produziert. Aber seien wir ehrlich: Das wird nie in einem größeren Maß passieren. Schließlich sehen wir heute immer noch platte (aber witzige) Actionfilme und Kunstfilme landen meistens in kleinen Sälen. Aber Dinge wie bessere Cinematographie und ein Twist, den man vielleicht nicht zwei Meilen gegen den Wind riechen kann, haben es durchaus in den modernen Mainstreamfilm geschafft. Bei Spielen ist es ganz ähnlich. Quantic Dream hat vor einiger Zeit mit Fahrenheit QTEs und eine kinoähnliche Aufmachung etabliert. Beide Elemente tauchen heute in einer großen Zahl von Spielen auf, doch nur wenige nehmen sich die starke Reduzierung klassischer Gameplay-Elemente zum Vorbild. Auch Dear Esther, bei Release von vielen als Walking-Simulator verschrien, hat Eindruck gemacht. So gab es unzählige ähnliche Projekte in unterschiedlichen Genres. Trotzdem ist die Mehrzahl der von großen Publishern veröffentlichten Spiele weiterhin in den ganz klassischen Genres unterwegs. Damit will ich nur sagen: Manchmal kommt tatsächlich etwas Neues aus dem Nichts und man sollte offen sein, die Neuerung anzusehen und ab und an zu erkennen, dass sie auch in den klassischen Genres für einiges an Erschütterung sorgen könnten. Nichts kann ein neues Medium mehr gebrauchen, als regelmäßig frisches Blut. Denn seien wir ehrlich: Die COD-Schlauch-Shooter sind nett, aber irgendwann muss es auch mal ein bisschen mehr sein. Auf einige dieser ungewöhnlichen Spiele möchte ich im Nachfolgenden eingehen:
Dear Esther
Dear Esther ist so ein bisschen der Prototyp des oft genannten »Walking Simulators«. Im Spiel befindet man sich auf einer Insel der Hebriden. Dort ist man als namenloser unterwegs. Die Interaktion beschränkt sich auf das Durchwandern der Landschaft. Dabei bekommt man verschiedene Fragmente der Geschichte von scheinbar unterschiedlichen Charakteren erzählt. Diese werden beim Mehrmaligen Durchspielen variiert. Den genauen Sinn dahinter bekommt der Spieler dabei nicht Punkt für Punkt vorgekaut sondern muss sich aus dem, was er vermutet zusammenbauen, was er da gerade gespielt und erlebt hat – für mich nicht nur mutig sondern auch riskant. Schließlich war nicht nur die Geschichte sondern das gesamte Drumherum mysteriös und undurchschaubar. Und das fehlende Schießen, Kisten öffnen und Rätsel lösen, dürfte so manchen zu der Annahme verleitet haben das Spiel sei langweilig. Ich für meinen Teil fand es hochspannend. Vor allem aufgrund der Tatsache niemals zu wissen, ob ich auf der (zugegebenermaßen) unheimlichen Insel vielleicht doch auf einen fiesen Schocker stoßen könnte.
Gone Home
Womit wir gleich beim nächsten Kandidat wären. Gone Home. Das Spiel präsentiert sich dem Spieler bis zu einem gewissen Punkt als die Geschichte einer Tragödie (im Sinn von Horror). Eine junge Frau kommt nach längerer Abwesenheit in das Haus der Familie zurück um es leer zu finden. Gefundene Hinweise (Zettel und Audio) deuten an, dass etwas schlimmes passiert sei. Das Haus, welches ebenso unheimlich rüberkommt, wie die stille Insel von Dear Esther, unterstützt diesen Eindruck mit dunklen Ecken und kaputten Lichtern. Auch dieses Spiel lässt sich dabei als Walking Simulator kategorisieren, wenn man möchte. Auch hier gibt es (anders als erwartet) kein Verstecken, fliehen oder kämpfen. Nur das Entdecken einer Geschichte, die sich Schritt für Schritt als zaghafte Teenagerliebe entpuppt.
Everybody’s gone to the Rapture
Von den gleichen Entwicklern wie Dear Esther (The Chinese Room) stammt das Playstation 4 exklusive Everybody’s gone to the Rapture. Dieses geht die in Spielen häufig verwendete Apokalypse auf ungewöhnliche Weise an. Dabei greift auch Rapture auf die reduzierten Gameplay Elemente seines Vorgängers im Geiste »Dear Esther« zurück und versetzt den Spieler in die Rolle des passiven Wanderers. In diesem Fall bekommt dieser an bestimmten Punkten (leuchtende Partikel in der Luft) die Möglichkeit verschiedenen Figuren zu lauschen und bestimmte Situationen in deren Momenten vor dem Ende nachzuerleben. Die großartigen englischen und deutschen Sprecher sorgen dabei zusammen mit der fantastischen Musik von Jessica Curry nicht selten für Gänsehaut und tiefe Gefühle, die nie gezwungen sondern völlig natürlich sind. Auch bei diesem Spiel ist jede Menge Geduld und eine gehörige Portion Auffassungsgabe vom Spieler gefragt. Was wirklich passiert ist hängt sehr stark davon ab, wie die unterschiedlichen Situationen wahrgenommen werden und welche Puzzleteile der Geschichte man gefunden hat.
Fahrenheit
Kann ein Spiel, welches auf vielen Ebenen schlussendlich scheitert eine Bereicherung für das Medium an sich sein? Fahrenheit ist das zweite Spiel des französischen Entwicklers Quantic Dream und geht in eine gänzlich andere Richtung als der quasi Vorgänger Omikron: The Nomad Soul. Dieses war (auch wenn sich heute niemand mehr erinnert) der geistige Vater von GTA. Eine offene Welt und viel Science Fiction sowie eine für damalige Verhältnisse clevere Geschichte.
Und Fahrenheit ist selbst der geistige Vater des Genres, welches heute hauptsächlich von Telltale bedient wird. Interaktive Filme die verschiedene Wege ermöglichen und die Story zu unterschiedlichen Enden verzweigt. Fahrenheit versetzt den Spieler zugleich in die Rolle eines Mörders und der beiden Polizisten die ihn jagen. Die Geschichte beginnt interessant und spannend, driftet aber in ihrem Verlauf immer weiter in übernatürliche Ereignisse ab. Weiterhin stören die wenig kontextuellen Reaktionstest die oft den Blick von der eigentlichen Handlung ablenken. Trotzdem war die Art der Erzählung, die sich mit Splitscreens, Zeitlupen und Close-ups an Filme anlehnte im Jahr 2004 ungewöhnlich. Die Charaktere sind dabei generell gut geschrieben und den Spieler den Mörder und die Ermittler abwechselnd spielen zu lassen war ein großartiger Twist, der für viel Spannung verantwortlich war. Das Spiel zu spielen lohnt sich für Fans der Telltale spiele auch heute noch. Die Remastered Fassung passt dabei die Steuerung an moderne Eingabegeräte an. An der Optik des Spiels ändert sich dagegen wenig.
Until Dawn
Until Dawn ist quasi nagelneu und für mich schon ein Klassiker. Das Spiel nutzt im Grund das vom Team bei Quantic Dream aufgebaute Fundament des interaktiven Films für seine eigenen Zwecke. Die Geschichte ist dabei in ihren Grundzügen wohl bekannt. Eine Gruppe von Teenagern will ein Wochenende in einer Hütte auf einem Berg im Wald verbringen und der Horror bricht los. Und obwohl (oder vielleicht weil) die Figuren aus den gängigen Klischees entstehen, hat man bereits ziemlich früh einen Favoriten gefunden, den man auf jeden Fall durchs Spiel bringen will. Hier kommt der Krux. Die Figuren sind sterblich und zwar jeder einzelne von ihnen. Fairerweise muss allerdings gesagt werden, dass Mike und Sam sich quasi als Hauptfiguren herauskristallisieren und erst kurz vor Schluss sterben können. Das man das beim ersten Durchgang nicht weiß, macht den Horrortrip ziemlich fesselnd und spannend. Und anders als zum Beispiel die Spiele von Telltale und Quantic Dreams Beyond Two Souls, zeigt Until Dawn die Konsequenzen, egal wie erschütternd sie auch sein mögen. Ist eine Figur weg, dann findet die Geschichte ohne diese Figur statt und bestimmte Ereignisse werden verpasst. Dieser Mut, dem Spieler bestimmte Szenen vorzuenthalten, zeigt sich bereits in Heavy Rain und wird hier konsequent weitergeführt. Das steigert nicht nur den Wiederspielwert sondern auch das Gefühl, diese Geschichte als etwas sehr individuelles erlebt zu haben. Das Spiel ist nur auf der Playstation 4 erhältlich und für Fans von Horror unbedingt empfehlenswert.
Besondere Nennung: This war of mine
This war of mine ist ein Spiel einer ganz neuen Generation. Einer Generation von Spielen, die nicht zum Spaß haben einladen, sondern zum Nachdenken anregen, traurig machen und einen Grund liefern die Welt zu hinterfragen. Spieler erleben hier den Krieg und zwar nicht mit einer Gruppe von Soldaten sondern mit normalen Menschen. Dazu gehört das Suchen von Ressourcen und das stückweise wiederherstellen eines Verstecks. Das Ziel des Spiels ist es, die Protagonisten bis zum Ende des Krieges überleben zu lassen. Das ist nicht nur schwer sondern oft auch schwer zu ertragen. Und ohne erhobenen Zeigefinger, hilft das Spiel beim erkennen der Leiden, die durch einen Krieg entstehen. Vor kurzem wurde »This war of mine: The little ones« für die Playstation 4 angekündigt. Bei der Erweiterung sollen vor allem die Erfahrungen von Kindern in einem Krieg thematisiert werden.
Sie sind anders und das ist gut so
Spiele die anders sind, gibt es noch viele, so viele, dass sie diese Liste ohne große Mühe zu sprengen in der Lage wären. Allerdings soll damit nur klar werden, dass es nicht immer gut ist, Spiele in Schubladen zu stecken und vor allem nicht, wenn man sie eher abwertend beschriftet(Walking Simulator oder Interaktiver Film). Diese Spiele wollen andere Ecken des Mediums ausloten und auch wenn sie vielleicht nicht immer Erfolg haben, so helfen sie doch, Spiele auch bei jenen bekannt zu machen, die bis dato dachten es handele sich bei Spielen um brutales Kinderspielzeug für (geistig) jung gebliebene. Und allen Angstkritikern sei gesagt: Nur weil es Kubrick Filme gab, hat das nicht das Ende für Action Blockbuster bedeutet und das ist auch gut so!
Marv